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In Chinesisch eintauchen statt Grammatik pauken   
55 Puzzleteilchen über China (2)
Von Martina Bölck
Übersicht

Das Bild vom geheimnisvoll lächelnden, überaus höflichen Chinesen, der sich lieber umbringen würde, als seinem Gegenüber eine unangenehme Wahrheit ins Gesicht zu sagen, wird in Europa allmählich vom Bild des rüpelhaften, rücksichtslosen, spuckenden, lauten Bewohners der Volksrepublik verdrängt.

Wer in China gereist ist, kennt es: Menschen, die ohne Rücksicht auf Aussteigende in die U-Bahnstürmen, beim Schlangestehen schubsen und sich vordrängeln, ihren Müll einfach auf die Straße werfen, Servicekräfte herrisch anfahren und dergleichen unangenehme Verhaltensweisen mehr an den Tag legen.

Auf der anderen Seite erlebt man auch immer wieder überwältigende Großzügigkeit und rücksichtsvolle Freundlichkeit. Man wird eingeladen und herumgeführt, beschenkt und mit Komplimenten überhäuft. Ja, was denn nun? Der Widerspruch erklärt sich daraus, dass Höflichkeitin China keine feste Größe ist, sondern ein Rollenverhalten, das vom Gegenüber und von der Situation abhängt.

Ein chinesischer Bekannter hat es einmal so erklärt: Man stelle sich einen Punkt vor und drumherum drei Kreise. Der innere Kreis steht für die Familie und die wirklich nahen Freundinnen und Freunde. Hier muss man nicht unbedingt höflich sein.

Viele finden es eher befremdlich, dass man in Deutschland ständig »Danke« und »Bitte« sagt, sogar in der Familie. Das klingt in ihren Ohren sehr förmlich. »Jetzt bedankdich doch nicht dauernd, wir sind doch Freunde!«, bekommt man zu hören. In diesem inneren Kreis kann man ehrlich zueinander sein und auch mal derbe Späße treiben. Zu Leuten aus dem äußeren Kreis, die man nicht kennt und mit denen man nichts weiter zu tunhat, muss man auch nicht höflich sein.

Das erklärt das Verhalten im öffentlichen Raum. Schwierig und kompliziert wird es im zweiten Kreis, zu dem die weniger engen Freundinnen und Freunde, Bekannte und Bekannte von Bekannten, Leute aus der Nachbarschaft, Geschäftspartner, Kolleginnen etc. zählen.

Hier gelten die Konzepte der chinesischen Höflichkeit: Man gibt sich bescheiden und zurückhaltend, macht Komplimente, ist großzügig, kämpft im Restaurant um die Rechnung, verteilt Geschenke, achtet darauf, dass niemand sein Gesicht verliert, stellt Harmonie her, lehnt etwas nicht direkt ab, übersieht taktvoll Fettnäpfchen, in die andere treten, und äußert seine Meinung nicht unverblümt.

Doch die Höflichkeitsvorstellungen erschließen sich Menschen aus dem westlichen Kulturkreis nicht immer unmittelbar, einige Fragen bleiben offen. Warum finden Studierende es angeblich unhöflich, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben (es könnte ja ein schlechtes Licht auf die didaktischen Fähigkeiten der Lehrkraft werfen), halten es aber für unproblematisch, sich im Unterricht mit ihrem Smartphone zu beschäftigen oder sich gleich über den Tisch zu legen und einzuschlafen?


 
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